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Eine der Ursachen für häufige Missverständnisse zwischen Wissenschaft und "Laien" ist der schlampige Umgang mit Randbedingungen - und zwar auf beiden Seiten. Wissenschaftler "vergessen" oft, die Randbedingungen unter denen eine gefundene Gesetzmässigkeit gültig ist zu erwähnen (vielleicht, weil sie irgendwann selbstverständlich werden), Laien übersehen die Randbindungen auch dann, wenn diese genannt sind (was wohl daran liegt, dass diese um wirklich exakt zu sein meist nicht einfach formuliert werden können).
Ein einfaches Beispiel: Ein Körper im freien Fall
Was lernt man in der Schule?
g = Fallbeschleunigung
t = Fallzeit
s = Fallstrecke
v = Fallgeschwindigkeit
Man erhält folgende Beziehungen:
v(t) = v<sub>0</sub>+ g x t
s(t) = s<sub>0</sub>+v<sub>0</sub> x t + 1/2 x g x t<sup>2</sup>
Jeder, der ein wenig mathematischen Hintergrund hat, kommt da sehr schnell hin.
Rechnet man hierfür ein paar Beispiele aus und vergleicht mit realen Messungen wird man feststellen, dass immer Fehler auftauchen - daraus zu folgern, die Beziehungen wären falsch (und damit die Wissenschaftler doof) wäre nun ebenso freigeistig wie unkorrekt.
Grund für die Abweichungen sind die Randbedingungen der obigen Beziehungen:
1) Reibung wird vernachlässigt
2) Die Fallbeschleunigung g hängt nicht von der Höhe ab
Beide Annahmen sind dann gerechtfertig, wenn ein Körper mit sehr hoher Dichte eine relativ geringe Fallstrecke zurücklegt - z.B. wenn eine Bleikugel vom Tisch fällt.
Erster Schritt in Richtung Realität:
Reibung wird berücksichtigt, indem man einen Reibungskoeffizienten einführt (dieser hängt vom fallenden Körper und dem umgebenden Medium ab) und einen linearen Zusammenhang zwischen Fallgeschwindigkeit und Reibungskraft annimmt.
Ergebnisse werden nun auch für weniger dichte Körper und etwas größere Fallhöhen annehmbar.
Zweiter Schritt in Richtung Realität:
Gravitationspotential ist proportional zu 1/r - jetzt kommen wir der Wahrheit auch bei großen Fallstrecken nahe...aber es gibt immer noch Abweichungen. (Formeln sind schon nicht mehr wirklich schön - ich erspar sie euch, es geht nur um die Idee)
Dritter Schritt:
Die Reibungskraft ist eben nicht proportional zur Fallgeschwindigkeit, so findet z.B. ein Übergang zwischen laminarer und turbulenter Strömung statt, letzterer sorgt für mehr Widerstand.
Vierter Schritt:
Das umgebende Medium ändert sich auch mit der Höhe, Druck, Zusammensetzung der Atmosphäre in verschiedenen Höhen, Temperatur - all dies hat einen Einfluss auf den Fall.
Selbst wenn ich das alles berücksichtige sind immer noch Fehler drin, denn die Luft, durch die mein Körper fällt steht ja nicht still...
Ihr seht, ein sehr simples Problem wird sehr schnell beliebig kompliziert - und fast nicht mehr vermittelbar, deshalb begegnen euch die Gleichungen in der Regel in ihrer am stärksten vereinfachten Form. Das diese recht wenig mit realen Systemen zu tun hat ist den Wissenschaftlern aber sehr wohl klar, also wenn ihr deren Konzepte wirklich widerlegen wollt, dann kommt ihr um ne Menge Arbeit nicht drum rum, denn dann müsst ihr es schon mit den komplexen Beziehungen aufnehmen - viel Spaß!